Was Kriegsberichterstattung (nicht) leisten kann – eine Wahrheitsannäherung
von Marcel Pott
Vor allem bei der Kriegs- und Krisenberichterstattung aus Ländern, die einem anderen Kulturkreis angehören, gilt für Korrespondenten/innen und ihre Heimatredaktionen gleichermaßen dasselbe Handicap: Sie schleppen beim Blick auf die Ereignisse die eigene soziokulturelle und politische Vorprägung mit sich herum.
Nur wenige sind frei von Vorurteilen und Klischees. Nicht zuletzt durch unbewusst verinnerlichte Grundhaltungen, die auch geprägt sind durch die Positionen, welche die deutsche, europäische oder die westliche Politik in der jeweiligen Region einnimmt. Schon in Friedenszeiten ist die Berichterstattung über die arabische und islamische Welt zwischen dem östlichen Mittelmeer und Zentralasien ein objektiv schwieriges Geschäft.
Deshalb kommt es bei Korrespondenten/innen entscheidend darauf an, dass sie aufgrund ihrer Vorbildung und ihrer Vorbereitung dazu in der Lage sind, sich originär ein differenziertes Bild über die Verhältnisse in den orientalischen Gesellschaften zu verschaffen. Nur wenn sie entsprechende Vor-Kenntnisse über die kulturellen Eigenheiten und die daraus erwachsene soziokulturelle Ordnung besitzen, wird es ihnen gelingen, eine der komplexen Wirklichkeit entsprechende Berichterstattung zu leisten.
Unverzichtbar sind Kenntnisse über die Geschichte der Völker, über den Islam in seiner facetten-reichen Vielfalt, die örtlichen Stammeskulturen und das Bewusstsein in der Bevölkerung
gegenüber dem Westen vor dem Hintergrund der europäischen Kolonialpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts in der Region. Wer dieses Rüstzeug nicht mitbringt, muss sich bei seiner Arbeit oft auf „internationale“ Quellen stützen, die er/sie im Netz anzapft, genauso wie das die Kollegen zu Hause machen, die die Berichterstatter vor Ort am heimischen Schreibtisch betreuen. Das heißt, er kann im Zweifel nicht mehr berichten, als die Heimatredaktion schon weiß.
Die ohnehin bestehende Abhängigkeit von örtlichen Mitarbeitern, Stringern und Producern vergrößert sich in dem Masse, als der oder die Korrespondentin nicht selbst über eine autonome Urteilsfähigkeit verfügt. Daraus folgt, dass die Heimatredaktionen bei Kriegen und Krisen nicht auf sog. Feuerwehr-reporter setzen sollten, sondern auf den Sachverstand erfahrener Korrespondenten, die aufgrund der Kenntnis der Verhältnisse über ein ausreichendes Beurteilungsvermögen verfügen.
Andernfalls lässt sich der Beitrag - zugespitzt formuliert - auch vom heimischen Schreibtisch bzw. dem Schneideraum aus herstellen. Es sei denn, der Zentralredaktion kommt es allenfalls darauf an, dem Publikum spektakuläre exklusive Bilder und action drama zu servieren. Wie schwer die Arbeit im nahöstlichen Krisengebiet ist, wenn man den Anspruch hat, der Wahrheit des Geschehens und der Hintergründe des Konfliktes nahe zu kommen, zeigt die Äußerung von Bettina Marx, der langjährigen Leiterin des ARD Hörfunkstudios in Tel Aviv:
„Natürlich ist man sich als Deutscher der deutschen Vergangenheit ständig bewusst. Es kann sich aber nicht auf die Berichterstattung auswirken. Wie sollte das auch gehen und wozu sollte das führen?
Dass man über eine israelische Invasion im südlichen Gazastreifen nicht berichtet ? Oder über die israelische Absperrungspolitik, die mehr als drei Millionen Palästinenser in kleine Enklaven einsperrt ?
Objektive Berichterstattung: das ist eine fast schon philosophische Frage, die sich sicher nicht nur an die deutschen Journalisten in Israel richtet, sondern an Journalisten überall auf der Welt und besonders in Krisenregionen.
Was ist objektiver Journalismus? Allein durch die Auswahl an Themen und durch die Wahl der Gesprächspartner trifft man eine Vorentscheidung, färbt man das Bild, das man darstellt, ein. Deswegen ist es natürlich die Aufgabe eines jeden Journalisten, sich immer wieder der eigenen Vorurteile bewusst zu werden und sie zu hinterfragen, immer wieder auch solche Gesprächspartner zu Wort kommen zu lassen, deren Auffassungen man selbst nicht teilt.“
Bei diesem Bemühen können die Heimatredaktionen ihre Korrespondenten unterstützen. Sie sollten sich schützend vor sie stellen, wenn es um die innere Unabhängigkeit bei der Berichterstattung geht, die durch den Versuch politischer Einflussnahme bedroht sein kann. Schwierig wird es für die
Ressortleiter und Chefredakteure, wenn bestimmte Interessengruppen oder die Politik versuchen,
durch öffentlichen Druck oder über den Verleger einer Zeitung oder gar über die Kontrollgremien eines Senders die Berichterstattung und auch die Kommentierung in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Solchem Druck wurde während des Sommer-Krieges im Libanon 2006 zwischen der Hisbollah und Israel vielfach widerstanden, aber es gab auch die berüchtigte „Schere im Kopf“. Denn der Einsatz von „Streubomben“ während des Krieges durch die israelische Armee ist nur sehr vereinzelt von deutschen Medien gemeldet worden. Weitere Beispiele für öffentlich geäußerten Druck oder der vermutlichen Nachrichtenunterdrückung sollen der Diskussion vorbehalten sein.
Die innere und äußere Pressefreiheit beweist sich vor allem dann, wenn wir selbst an Kriegs- und Krisengeschehen beteiligt sind. Das war 1999 im völkerrechtlich nach herrschender Lehre nicht legitimierten Kosovo-Krieg der NATO gegen Serbien der Fall. Die meisten Versuche von kritischen Journalisten, nicht nur die ethnischen Säuberungen des Milosovic-Regimes an der albanischen Bevölkerung anzuprangern, sondern auch die Verstöße der NATO gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht angemessen zu thematisieren, blieben erfolglos.
Das öffentliche Auftreten während des Krieges von Verteidigungsminister Scharping und Außenminister Fischer, dessen anmaßender Vergleich der Vorgänge im Kosovo mit dem Völkermord von Auschwitz die Medien kaum problematisierten, die beschönigenden Darstellungen ziviler Opfer durch NATO-Bomben auf Belgrad - all das wurde mehr oder weniger hingenommen. War das ein Reflex auf das „Wir-Gefühl“? Denn wir Deutsche waren ja an diesem Krieg beteiligt?
Heute sind wir mit deutschen Soldaten in Afghanistan.
Beitrag auf dem Deutsch-Palästinensischen Mediendialog, 2008
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